Freigabeverfahren beim Rückbau kerntechnischer Anlagen

Februar 2017

Beim Rückbau von Kernkraftwerken und anderen kerntechnischen Einrichtungen fallen sehr viele unterschiedliche Materialien (z. B. Kabel und Kabelisolierungen, Pumpengehäuse, Betonschutt, Armierungen) aus den verschiedenen Anlagenbereichen an. Größere Teile von Kernkraftwerken sind generell keiner radioaktiven Kontamination oder Aktivierung ausgesetzt, etwa das betriebliche Kühlsystem (Kondensatoren, Kühltürme), das Turbinenhaus bei Druckwasserreaktoren, Notstromsysteme, Verwaltungsgebäude, Werkstätten etc.

Diese Bereiche können im Rahmen von Stilllegung und Rückbau entsprechend der Genehmigungsanforderungen von der Aufsichtsbehörde ohne Freigabeverfahren aus der atomrechtlichen Überwachung entlassen werden. Die Rückbau- und Abbrucharbeiten vollziehen sich hier wie bei anderen Industrieanlagen, Gewerbe- oder Wohngebäuden entsprechend der Regelungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, der geltenden Bauordnungen, Immissionsschutzvorschriften, Gefahrstoffverordnungen etc.

Der Rückbau von Anlagen und Gebäuden aus dem Kontrollbereich unterliegt zusätzlich zu den o. g. Bestimmungen der atomrechtlichen Überwachung. Der Umgang mit diesen Stoffströmen wird in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) mit dem Freigabeverfahren nach § 29 geregelt. Dabei wird zwischen drei Kategorien von Reststoffen/Abfällen unterschieden:

  • Radioaktive Abfälle, die in einem Endlager für (schwach- und mittel-) radioaktive Abfälle eingelagert werden müssen
  • Freigemessene, deponiepflichtige Stoffe mit geringfügiger Radioaktivität, die nicht in einem Endlager aber auf Deponien eingelagert werden müssen
  • Verwertbare Reststoffe, die die Grenzwerte für eine uneingeschränkte Freigabe erfüllen und uneingeschränkt einer konventionellen Wiederverwertung zugeführt werden können.

Sowohl die deponiepflichtigen Abfälle als auch die verwertbaren Reststoffe gelten nicht als radioaktive Abfälle, da diese über ein Freigabeverfahren nach § 29 StrlSchV aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes entlassen werden, weswegen man von Freigabe bzw. Freimessung spricht. Die deponiepflichtigen Abfälle müssen dabei der Bedingung entsprechen, dass weder für Mitarbeiter noch für Personen der allgemeinen Öffentlichkeit, etwa Anrainer der Deponie, ein Dosisgrenzwert von 10 Mikrosievert (0,01 Millisievert) pro Jahr überschritten wird. Dies entspricht 0,5 Prozent der durchschnittlichen natürlichen Dosis in Deutschland von 2,1 Millisievert pro Jahr.

Zur Einordnung des Freigabegrenzwertes von 0,01 Millisievert pro Jahr ein Vergleich: dieser Wert ist 100 mal niedriger, als der Wert, der bei Baumaterialien für Wohngebäude oder bei der Entsorgung von Material, das mit natürlicher Radioaktivität angereichert ist als unbedenklich betrachtet wird (1 Millisievert pro Jahr). Baustoffe mit erhöhter natürlicher Radioaktivität sind etwa Granite, Gneis, Porphyr und Tuff, Sand und Gipsplatten oder mit Alaunschiefer hergestellter Leichtbeton.

Der Betreiber der Anlage, z. B. des Kernkraftwerks führt das Freigabeverfahren in mehreren Schritten in gutachterlich geprüften, von der Aufsichtsbehörde genehmigten Messeinrichtungen nach vorgeschriebenen Verfahren durch. In der Praxis wird das Material aus dem Rückbau in normierten Metallkörben in einer geeichten Messkammer ausgemessen und die Ergebnisse der Messungen sowie die Stoffeigenschaften dokumentiert. Die Freigabe kann nur von der Aufsichtsbehörde Behörde erteilt werden, die freigemessenen Materialien werden regelmäßig in Stichproben von Gutachtern im Auftrag der Aufsichtsbehörde geprüft.

Nach der Freigabe werden die sonstigen Abfallvorschriften auf die Materialien angewendet und ein großer Teil kann wieder verwertet werden, wie im Kreislaufwirtschaftsgesetz vorgesehen. So kann Bauschutt im Straßenbau verwertet werden, Metalle fließen wieder in die Produktion ein usw.

Für die deponiepflichtigen Abfälle sind Deponien ab Klasse eins und 10.000 Jahrestonnen Einbaumenge geeignet. Für die Annahme durch die Deponie bestehen darüber hinaus Mengenbegrenzungen. Die Strahlenschutzverordnung regelt für verschiedene Stoffgruppen aus dem Rückbau detailliert nuklidspezifische Obergrenzen für die Freigabe zur Deponierung und zur Verwertung.

Die Unterteilung in deponiepflichtig und wiederverwertbar besteht übrigens nicht nur nach der Strahlenschutzverordnung, sondern gilt generell für möglicherweise bzw. tatsächlich kontaminierte Abfälle. So gelten etwa bei einem alltäglichen, konventionellen Abbruch von Wohngebäuden Dachziegel, Mauerwerk, Beton und Estrich als wiederverwertbarer Bauschutt. Mörtel und Verputze oder Kies und Sand sind dagegen deponiepflichtig, Material aus dem Abbruch von Kaminen ist unter Umständen als Sondermüll zu behandeln.

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