Januar 2014
Prof. Dr. Thomas Klinger ist Mitglied des Direktoriums des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Wissenschaftlicher Leiter der Unternehmung Wendelstein 7-X am Teilinstitut Greifswald und Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport. Er hat seit 2002 den Lehrstuhl für Experimentelle Plasmaphysik an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Greifswald inne.
kernenergie.de hat Prof. Dr. Thomas Klinger zur Kernfusionsforschung in Deutschland und weltweit sowie ihrer Bedeutung für Hochtechnologieindustrien befragt
Mit dem Experiment Wendelstein 7-X in Greifswald wird derzeit eine zweite große Anlage zur Fusionsforschung aufgebaut, neben dem Projekt ITER in Frankreich an dem das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) ebenfalls mitarbeitet. Was sind die Gründe dafür, zwei so große Projekte zu verfolgen und wo liegen die Unterschiede in den Konzepten?
Bei den beiden Großprojekten ITER und Wendelstein 7-X geht es darum, aussagekräftige Daten über die Kraftwerkstauglichkeit der beiden Einschlusskonzepte für ein Fusionsplasma "Tokamak" und "Stellarator" zu erlangen.
Dafür müssen die experimentellen Anlagen eine gewisse Mindestgröße haben. Die Größe von ITER ist so gewählt, dass ein integrierter nuklearer Betrieb mit zehnfach höherer Energieerzeugung als Energieaufnahme möglich ist. Dies ist ein extrem wichtiger Schritt für die Fusionsforschung. Wendelstein 7-X ist hingegen nicht als nukleare Anlage konzipiert und wird folglich auch keinen Energieüberschuß generieren. Die Aufgabe von Wendelstein 7-X besteht aus zwei großen Zielen: Erstens soll der stark verbesserte Plasmaeinschluss demonstriert werden, der mit einer systematischen Optimierung des Magnetfeldes erwartet wird. Zweitens soll die Anlage erstmalig ein für die Fusion relevantes Wasserstoffplasma für dreißig Minuten aufrecht erhalten. Das Erreichen des ersten Zieles würde den Stellarator als Kraftwerkskonzept bestätigen, das zweite Ziel ist auch für ITER von großer wissenschaftlicher und technologischer Bedeutung, da auch dieser das Plasma für lange Zeitintervalle aufrecht erhalten soll.
Der Unterschied zwischen den beiden Konzepten "Tokamak" und "Stellarator" liegt in der Erzeugung und der Gestalt des Magnetfeldes: Im Tokamak wird das ringförmige Magnetfeld durch Spulen erzeugt, in denen ein starker Strom fließt. Die für den Plasmaeinschluß unbedingt notwendige Verdrillung der magnetischen Feldlinien erfolgt über einen Strom im Plasma, der über den Induktionseffekt erzeugt wird. Im Stellarator wird das ringförmige Magnetfeld gleich mit der Verdrillung durch stromdurchflossene Spulen erzeugt. Ein zusätzlicher Strom innerhalb des Plasmas ist hier nicht erforderlich. Dies hat wichtige Konsequenzen: Im Tokamak hat das Magnetfeld Symmetrien, die u.a. den Teilcheneinschluss optimieren. Diese Symmetrien liegen beim Stellarator nicht vor, was dazu führt, dass die dreidimensionalen Magnetfelder optimiert werden müssen. Dazu sind aufwändige Berechnungen zur Lösung der Grundgleichungen erforderlich. Diese sind erst seit der Verfügbarkeit von Supercomputern umsetzbar geworden, was dazu führt, dass das Stellaratorkonzept in seiner Entwicklung noch nicht soweit vorangeschritten ist wie der Tokamak. Allerdings hat der Stellarator entscheidende Vorteile: Er ist prinzipbedingt zum Dauerbetrieb fähig, was beim Tokamak wesentlich schwieriger ist, da die dort erforderliche Erzeugung eines starken Stroms im Plasma heute noch nicht kontinuierlich erfolgen kann. Zudem gibt es viele Hinweise, dass der Stellarator einfacher zu steuern und grundsätzlich betriebsstabiler ist. Daher werden beide Konzepte - Tokamak und Stellartator - in einem weltweit koordinierten Forschungsprogramm untersucht.
Wenn Sie ITER und Wendelstein 7-X mit ihren unterschiedlichen Konzepten in der Geschichte der kontrollierten Kernfusionsforschung verorten, welche der beiden Technologien ist aus Ihrer Sicht näher an einer praktischen Anwendung zur Energiegewinnung?
Die Forschungsanlage ITER wird mit der Zielsetzung gebaut, erstmalig erheblich mehr Energie zu erzeugen als sie aufnimmt. Wendelstein 7-X hat für eine signifikante Energieerzeugung ein zu geringes Plasmavolumen, aber die Anlage ist dafür auch nicht gedacht: Der Stellarator muss zunächst das Kraftwerkspotential demonstrieren, was beim Tokamak mit der europäischen Forschungsanlage JET in Culham (UK) schon gelungen ist. In diesem Sinne ist der Tokamak näher an einer praktischen Anwendung zur Energiegewinnung. Man muss allerdings beachten, dass es sich immer noch um Forschungsanlagen handelt und Untersuchungen in erheblichem Umfang getätigt werden müssen, um ein klares Bild von einem Fusionskraftwerk zu erhalten. Der Stellarator hat eindeutige Vorteile (siehe oben), muss aber sein Potential noch zeigen. Es ist überdies durchaus denkbar, dass beide Konzepte zur Anwendungsreife kommen und - wie beim Otto- und Dieselmotor - parallel vermarktet werden.
Wesentliche wissenschaftliche und technologische Fragestellungen für Tokamak und Stellarator umfassen,
Die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte sind beachtlich. So konnte in den letzten Jahrzehnten durch hartnäckige Forschung der wichtigste Gütefaktor um drei Größenordnungen – also um Faktor 1.000 – verbessert werden. Dieser Gütefaktor beschreibt die Kombination aus erforderlicher Plasmadichte und Temperatur sowie die Wärmeisolation durch das einschließende magnetische Feld. Inzwischen werden in den modernen Experimentieranlagen der Welt routinemässig Plasmatemperaturen von über 100 Millionen Grad Kelvin erreicht, was die Grundvoraussetzung für effiziente Energieerzeugung durch Fusion ist.
In einer Broschüre anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik im Jahr 2010 findet sich ein Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Fusionsforschung mit Tokamaks und Stellaratoren.
In beiden Fusionsprojekten wird wissenschaftliches und technologisches Neuland beschritten. Wie schätzen Sie die Bedeutung dieser Entwicklung über die kontrollierte Kernfusion hinaus ein, wie bedeutsam wird es für Unternehmen und Industriestandorte allgemein sein, in diesem Bereich eine führende Rolle zu spielen?
Die Fusionsforschung erfordert Hochtechnologien wie Supraleitung, Kältetechnik, Vakuumtechnologien, Hochleistungsmikrowellen, Nukleartechnik u.v.a.m. Die Industrieaufträge, die im Zusammenhang mit dem Aufbau von ITER und Wendelstein 7-X vergeben werden, gehen oft an die Grenze des technologisch machbaren. Damit werden die Industriepartner zu Höchstleistungen angetrieben, die sie letzlich am Markt wettbewerbsfähiger machen. Dieser Trainingseffekt ist bedeutender als alle spin-offs, die aus der Fusionsforschung abgeleitet werden können. Langfristig ist es für die Industrie natürlich attraktiv, die Schlüsseltechnologien zu beherrschen, die für den Bau von Fusionskraftwerken erforderlich sind. Diese Erkenntnis hat bei dem internationalen Projekt ITER dazu geführt, dass die sieben ITER-Partner darauf bestanden haben, dass jeder Partner alle wesentlichen Technologien beherrschen lernt, was natürlich zu einer äußerst komplexen Projektstruktur führt.