Christian Meyer zu Schwabedissen im Interview mit kernenergie.de zur internationalen Entwicklung der Kernenergie

Januar 2014

Christian Meyer zu Schwabedissen
Christian Meyer zu Schwabedissen

Christian Meyer zu Schwabedissen ist seit 38 Jahren in verschiedenen Bereichen der Kerntechnik tätig. Bei Siemens KWU begann er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und war später an der Inbetriebsetzung aller deutschen Kernkraftwerke beteiligt. Nach Ende der Ausbauphase fungierte er als Berater der Kraftwerksbetreiber. Seit 1998 verantwortet er die Kontakte zu Politik und Verbänden zunächst bei Siemens KWU, später bei AREVA GmbH. Dort leitet er als Direktor Politische Kontakte seit 2003 das Berliner Büro. 

Nach dem Reaktorunfall von Fukushima wurde in Deutschland ein sehr rascher Politikwechsel vorgenommen und von einer Zäsur in Bezug auf die Nutzung der Kernenergie gesprochen. Wie hat sich außerhalb Deutschlands die Sicht auf die Kernenergie entwickelt? 

Jedes Kernkraftwerke betreibende Land hat nach Fukushima die eigenen Anlagen kritisch überprüft. Am bekanntesten ist hierzulande ja der sogenannte Stresstest der Europäischen Union, der im Übrigen das hohe Sicherheitsniveau aller deutschen Kernkraftwerke bestätigt hat. Aber auch in anderen Ländern gab es vergleichbare Analysen. China hat beispielsweise den Schluss gezogen, bei Neubauvorhaben nur noch auf sogenannte Generation III-Reaktoren zu setzen. Viele Staaten haben insbesondere Schutzmaßnahmen gegenüber starken Naturereignissen weiter verstärkt. Gleichzeitig laufen auch die Neubauprogramme weiter, beispielsweise in EU-Staaten wie Großbritannien oder Finnland, aber auch in Amerika und Asien. Großbritannien hat dabei einen interessanten Ansatz gefunden, die Vorteile der Kernenergie mit denen der Erneuerbaren Energien zu verbinden. Aus meiner Sicht zeigt sich inzwischen ganz deutlich, dass der deutsche Ausstieg ein Einzelfall bleibt. 

Welche Aspekte spielen Ihrer Erfahrung nach eine wesentliche Rolle, wenn in Staaten politische Entscheidungen zur Fortführung bzw. zum Ausbau der Kernenergie getroffen werden, oder ganz neu in die Technik eingestiegen werden soll? 

Der effizientere Einsatz von Ressourcen sowie Umwelt- und Klimaschutz bestimmen die Energiepolitik aller Staaten. Außerhalb Deutschlands haben auch die Faktoren Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit höchste Priorität. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, auch auf die Kernenergie zu setzen. Schließlich kann Kernenergie nicht nur 24 Stunden Strom produzieren, sondern ist auch CO2-arm und schont die fossilen Ressourcen. 

Klimapolitische Ziele und ein Ausbau erneuerbarer Energien stehen auch in zahlreichen anderen Ländern auf der energiepolitischen Agenda. Wo sehen Sie die Rolle der Kernenergie bei der globalen Energieversorgung um die Mitte des Jahrhunderts? 

Alle internationalen Studien sehen einen Zuwachs bei der Kernenergie. So erwartet die Internationale Energieagentur einen Anstieg der installierten Leistung von knapp 400 Gigawatt heute auf 600 Gigawatt in 2035. Da in diesem Zeitraum auch Kernkraftwerke altersbedingt von Netz gehen, gibt es einen Neubaubedarf von etwa 300 Gigawatt. Das entspricht mehr als 200 neuen Kernkraftwerken. Dieser Zubau wird natürlich überwiegend in Asien stattfinden, da hier der Stromverbrauch am stärksten wächst. Doch auch in Europa wird es weiterhin zunehmend Neubauprojekte geben. Mit Blick auf die Europäische Union bleibt die Zahl der Kernenergiestaaten konstant, wenn Polen wie derzeit geplant etwa zu dem Zeitpunkt neu in die Kernenergie einsteigt, wenn Deutschland aussteigt – also 2022.