Prof. Dr. Horst Zillessen

Dezember 2013

Prof. Dr. Horst Zillessen
Prof. Dr. Horst Zillessen

Firmengründer, Geschäftsführer, Gesellschafter der MEDIATOR GmbH - Mediation und Konfliktberatung. Einer der ersten und erfahrensten Umweltmediatoren im deutschsprachigen Raum. 

Viele Bundespolitiker glauben, dass mit ihren Beschlüssen des Ausstiegs aus der Kernenergie bis Ende 2022 ein sogenannter „gesellschaftlicher Großkonflikt“ endlich und ein für alle Mal befriedet worden ist. Teilen Sie diese Ansicht? 

An der Befriedung dieses Konflikts sind die zivilgesellschaftlichen Organisationen bislang nicht oder kaum beteiligt worden, daher teile ich angesichts meiner Mediationserfahrungen bei umweltpolitischen Konflikten diese Auffassung nicht. Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Konflikts erscheint es mir äußerst fraglich, ob er allein durch bundespolitische Beschlüsse beigelegt werden kann. Hier bedarf es eines konsensorientierten Verfahrens z.B. im Rahmen eines Forums, in dem mit Beteiligung nicht nur der politischen und wirtschaftlichen, sondern auch der einschlägigen gesellschaftlichen Organisationen Pro und Contra sorgfältig und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar abgewogen werden und unter der Leitung von erfahrenen Mediatoren versucht wird, die Grundfragen dieses Konflikts sorgfältig und unvoreingenommen aufzuarbeiten. Am Ende eines solchen Verfahrens kann dann in für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer Abwägung des Pro und Contra ein Entscheidungsvorschlag an die zuständigen politischen Gremien stehen.

Der Diskussionsprozess sollte für die Öffentlichkeit nachvollziehbar dokumentiert werden, jedoch nicht in Form einer permanenten Fernsehberichterstattung, die mit der Gefahr von „Fensterreden“ der Beteiligten verbunden ist. Es bedarf bei diesem Thema eines sorgfältigen und ernsthaften Aufeinanderhörens und des Ernstnehmens der unterschiedlichen Sichtweisen sowie des vorurteilsfreien Abwägens der Vor- und Nachteile des Ausstiegs unter den Aspekten der Versorgungssicherheit, des Klimaschutzes wie der Vorsorgefähigkeit für einen Generationen übergreifenden Zeitraum. Dabei wird es aller Voraussicht nach für viele Beteiligte Lernprozesse geben. Eine permanente Öffentlichkeit ist für ein solches Vorgehen kontraproduktiv. 

Die Diskussion sollte also nicht in aller Öffentlichkeit geführt werden, weil sie offen bleiben muss für Erkenntnisprozesse und neue Einsichten aller Beteiligten, denen dann nicht öffentlich vorgehalten werden darf, dass sie ihre Meinung geändert haben, weil sie in dem Diskussionsprozess dazu gelernt haben – wovor auch in diesem Zusammenhang niemand gefeit ist. Die regelmäßige Einbindung und Information der Öffentlichkeit muss freilich gewährleistet sein – d.h. die Öffentlichkeit muss über Sitzungsprotokolle sowie gegebenenfalls auch durch Pressekonferenzen und öffentliche Veranstaltungen, über deren Zeitpunkt und Ablauf das Forum befindet, informiert werden. Auf diese Weise kann die Öffentlichkeit nachvollziehen und verstehen, wie der Diskussionsprozess verläuft und welche Argumente schließlich zu einer einvernehmlichen (im besten Fall) oder zu einer mehrheitlich beschlossenen Regelung des Ausstiegs geführt haben. 

Die Debatte um die Kernenergie in Deutschland wird seit vielen Jahren von großen, z.T. heftigen Emotionen geprägt. (Wie) Lässt sich diese Debatte nachhaltig beruhigen? Zumal neue gesellschaftliche Konflikte bereits keimen, z.B. an potentiellen Standorten für ein Endlager hochradioaktiver Abfälle. 

Die Debatte um die Kernenergie ist vor allem deshalb so emotional geführt worden, weil seitens der Politik nie ernsthaft versucht worden ist, sie zum Gegenstand eines entscheidungsoffenen Dialogprozesses zu machen, obwohl von Anfang an offensichtlich gewesen ist, dass die Nutzung der Kernenergie heftige gesellschaftliche Auseinandersetzungen auslösen würde. Die Politik hat in diesem Themenfeld vor allem nach der Methode gehandelt, die in den USA mit der Bezeichnung „Decide-Announce-Defend-Approach“ versehen worden ist, wobei die Abkürzung „DAD-Aproach“ die Assoziation mit dead nahelegen soll. 

Angesichts der auf diese Weise geschaffenen Fakten kann die Debatte um die Kernenergie wohl nur dadurch beruhigt werden, dass bei der Umsetzung des politisch beschlossenen Ausstiegs aus der Kernenergie ein anderer Weg eingeschlagen wird. Die Aussichten dafür schätze ich freilich als nicht sehr günstig ein. Bereits Ende der 90er Jahre habe ich in einem Gespräch zwischen Mitarbeitern der zuständigen Abteilung des BMU und dem Vorstand des Fördervereins Umweltmediation e.V., Bonn, in Berlin ein Konzept „Standortsuche für eine nationale Atommülllagerstätte unter Mithilfe von in der Regelung öffentlicher Konflikte erfahrenen Mediatoren“ vorgestellt. Es stieß bei den Vertretern des Ministeriums zwar auf Interesse, aber vor allem auf Zweifel, ob die Spitze des Hauses ein solches Beteiligungskonzept akzeptieren würde. Ob sich die Debatte um die Kernenergie überhaupt nachhaltig beruhigen lässt, ist angesichts der bisherigen Form der Entscheidungs- und Diskussionsprozesse schwer abschätzbar – wenn überhaupt, dann nur mit einer größeren Offenheit der Politik im Umgang mit den in diesem Themenfeld engagierten gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen. 

Die meisten Experten vermuten, dass bis zur Eröffnung eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle noch Jahrzehnte vergehen werden. Welche Empfehlungen geben Sie dazu für die Kommunikation vor Ort an den KKW-Standorten mit Zwischenlagern für radioaktive Abfälle? 

Für die Kommunikation an den KKW-Standorten wäre es sicher hilfreich, zunächst zuzugestehen, dass der Kommunikationsprozess bislang nicht sehr glücklich gelaufen ist (ohne dass dabei die Schuldfrage thematisiert wird), aber für die Zukunft eine neue Form der Kommunikation angestrebt wird. Dabei sollten – ggf. unter allparteilicher Leitung – die Bedenken und Befürchtungen, aber auch die Erfahrungen und Einsichten vor Ort verstärkt in die Planung der weiteren Schritte einbezogen werden.