Prof. Dr. Clemens Walther im Interview mit kernenergie.de über Reststoffe im Rückbau

September 2017

Prof. Dr. Clemens Walther
Prof. Dr. Clemens Walther

Beim Rückbau von Kernkraftwerken fallen Reststoffe unterschiedlicher Art an. Rund zwei Prozent sind als schwach- und mittelaktive Abfälle für die Endlagerung vorzubereiten.Der größte Teil des Kraftwerks allerdings ist nie Radioaktivität  ausgesetzt gewesen. Eine dritte Stoffgruppe weist – besonders nach Dekontamination – nur ganz geringfügige Radioaktivität auf. Wie sind diese verschiedenen Reststoffe unter dem Gesichtspunkt des Strahlenschutzes einzuschätzen?

Von schwach- oder mittelaktiven Abfällen kann bei unsachgemäßem Umgang eine Gefahr für die menschliche Gesundheit ausgehen. Deshalb schreibt der Gesetzgeber auch genau vor, wie solche Stoffe zu entsorgen sind. Derzeit ist die Endlagerung im Endlager Konrad vorgesehen, das sich in Bau befindet.

Reststoffe, die zwar aus einem Kernkraftwerk stammen, die aber nicht mit radioaktiven Stoffen belastet, also kontaminiert oder aktiviert wurden, können genauso behandelt werden, wie Reststoffe aus nicht-nuklearen Anlagen. Sie sind aus Sicht des Strahlenschutzes unbedenklich.

Quasi zwischen diesen Kategorien existieren Reststoffe, die kontaminiert oder aktiviert waren, aber so effektiv von radioaktiven Stoffen befreit (dekontaminiert) werden konnten, dass die dann noch von ihnen ausgehende Strahlung sehr gering ist. Sie können auf normalen Deponien entsorgt werden. Der Nachweis, dass für die Bevölkerung dadurch kein erhöhtes Risiko entsteht, wird im Rahmen des Freigabeverfahrens erbracht


Dieses Freigabeverfahren wird in Deutschland zur Unterscheidung der verschiedenen Reststoffe beim Rückbau  angewendet, um über den weiteren Umgang zu entscheiden. Wie funktioniert die Freigabe und wie ist das hinsichtlich Strahlenschutz und Gesundheit zu bewerten?

Die Freigabe gemäß § 29 der Strahlenschutzverordnung ist ein Verfahren, mit dem radioaktive Stoffe aus der Überwachung gemäß Atomgesetz entlassen werden. Dies bedeutet, dass diese Stoffe danach als nicht-radioaktive Stoffe weitergegeben und verarbeitet oder entsorgt werden können. Für eine sogenannte „uneingeschränkte Freigabe“ muss der Abgebende nachweisen, welches Risiko sich aus der Verwendung oder Deponierung dieser Stoffe für die Bevölkerung ergeben könnte. Das Maß für das Risiko durch Strahlung ist die sogenannte „effektive Dosis“. Die Erhöhung dieser effektiven Dosis durch die freigegebenen Stoffe darf für eine Person der Bevölkerung maximal ein halbes Prozent der effektiven Dosis durch natürliche Strahlung betragen.

 

Im Mai 2017 hat der Deutsche Ärztetag eine Resolution beschlossen, in der eine Freigabe von Stoffen aus Kernkraftwerken generell abgelehnt und empfohlen wird, alles Material, das nicht in ein Endlager verbracht wird, dauerhaft am Standort zu lagern. Wie schätzen Sie diese Forderung ein?

Um die Konsequenzen eines solchen Vorgehens einzuordnen, sind mehrere Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. In der Tat sind die Risiken kleiner Strahlendosen für die menschliche Gesundheit nicht vollständig erforscht. Man darf aber diese zusätzliche Dosis nicht isoliert betrachten, sondern muss diese immer im Zusammenhang mit Dosen aufgrund natürlicher Strahlung  betrachten. Die Wirkung auf lebende Organsimen ist nämlich immer gleich, ob die Strahlung von künstlichen oder natürlichen Radionukliden ausgeht. Werden die oben dargelegten strikten Regelungen zur Freigabe eingehalten, so erhöht sich die jährliche effektive Dosis einer Einzelperson mit hypothetischem Wohnort Köln von ca. 2,10 mSv (milliSievert) auf maximal 2,11 mSv. Die gleiche Erhöhung ergibt sich, wenn diese Person entweder auf die kanarischen Inseln in den Urlaub fliegt, eine Woche Skiurlaub in den Bergen verbringt (Höhenstrahlung), oder eine (einzelne konventionelle) Röntgenaufnahme eines Arms oder Beins erhält.

Die, wenn auch kleine und mit geringer Wahrscheinlichkeit auftretende, zusätzliche Dosis durch freigegebene Stoffe könnte durch einen Verschluss in einem „Bunker“ wie ihn der Deutsche Ärztetag vorschlägt in der Tat fast völlig vermieden werden. Jedoch steht dem gegenüber, dass dieser Nutzen eher theoretischer Art wäre und ein Einschluss keine dauerhafte Lösung darstellt. Ein solches Bauwerk müsste über sehr lange Zeit gewartet werden. Tut man dies nicht, kann diese Barriere schon nach wenigen Jahrzehnten schadhaft werden und versagen. Weiterhin verhindert der Erhalt eines solchen Gebäudes den im Rahmen der Energiewende geforderten Rückbau aller Leistungsreaktoren zur „grünen Wiese“ mit der Möglichkeit der uneingeschränkten Nachnutzung der Gelände. Stattdessen verbleibt ein Gebäude, das schließlich doch rückgebaut werden muss. Man verschiebt also erhebliche Lasten aus der Nutzung der Kernenergie auf zukünftige Generationen. Das widerspricht dem ethischen Grundsatz, dass nach Möglichkeit der Verursacher und Nutznießer einer Technik für die Folgen aufkommen muss.